Aus Fehlern kann jeder lernen. Euer Sicherheitsbeauftragte Helmut Wilms.
Unfallbericht eines Gleitschirmunfalls auf Lanzarote.
Ich schreibe diesen Bericht für mich, um etwas abzuarbeiten und für die Piloten, die aus den Fehler anderer etwas lernen möchten.
Selbstbeschreibung: L - Schein und A - Schein 1993. Bis Herbst 2005 nie wieder geflogen. Herbst 2005: Ohne vorher einen Flug gemacht zu haben, 20 Starts an der Winde. Windenschein! Wenigflieger, der 2006 ca. 40 Starts am Hang und Winde hatte. Mein Schirm hat die Kategorie 1.
Flugort: Lanzarote, Mala; Wind 13 bis 18 km/h; Windrichtung nahezu senkrecht zur Kammlage;
Hangneigung ca. 35 Grad; einige kleine Rinnen durchziehen den Hang.
Ich traf mich mit einer Gruppe von deutschen Gleitschirmfliegern.
Vor der Fahrt zum Startplatz wurde ich beiläufig gefragt: „Na gut drauf?“
Meine Antwort: „Ooooch, ich bin noch nicht ganz wach.“ Ich hatte kein Schlafdefizit und hatte auch vorher keinen Alkohol konsumiert. Ich war einfach durch die Tage zuvor etwas schlaff.
Flugbesprechung: Uns war klar, daß bei dem schwachen Wind und der Hangneigung ein soaren schwer wird. Wer unterhalb der Hangkante fliegt oder sich zu weit von Hang entfernt, säuft ab. Der Landplatz im Tal war sehr einfach. Die Rückholung war ebenso kein Problem.
Ich machte mich startklar, zog rückwärts auf und spielte etwas mit dem Schirm. Drehte mich einige male ein und dann wieder aus. Das ging prima, ich war ruhig und relaxt.
Fehler Nummer 1: Mir fehlte hohe Konzentration, die für mich nötig ist.
Wie an den Tagen zuvor faßte ich die Steuerleinen so, daß der Knoten der Steuergriffe zwischen Daumen und Zeigefinger war. Mit diesem Griff konnte ich die Steuerleinen so weit hinunterziehen und den Schirm so weit anbremsen, daß ich mich von dem Schirm einen Hang hinaufziehen lassen konnte. Ich wollte aber nirgends hinaufgehen. Die falsche Griffposition war Fehler Nummer 2
Der Start verlief gut und ohne Probleme. Durch die waagerechte Oberkörpervorlage beim Startlauf, konnte ich dem Schirm genug Vorwärtsenergie geben, um gut und zügig ohne Höhenverlust zu starten. Um aber ja nicht an Höhe zu verlieren, gab ich die Handposition nicht auf. Das war Fehler Nummer 3. Denn die Steuerleinen waren jetzt ca. 20 cm weiter durchgezogen als beim normalen Fassen der Griffe und der gleichen Armposition. Ich flog viel zu langsam.
Mir kam ein anderer Pilot entgegen. Als ich mein Ausweichkurve einleitete, fühlte ich steigen. Mein Vario piepte aber nicht. Ich habe es vergessen einzustellen. Fehler Nummer 4.
Als das Ausweichmanöver beendet war, stellte ich voller Hektik mein Vario ein. Die Hektik war Fehler Nummer 5.
Nun flog ich, da ich durch das Ausweichmanöver und das Einstellen des Varios mehr Abstand zum Hang hatte, nach einer scharfen Kurve, im Winkel von ca. 30 Grad auf den Hang zu. Als ich wieder im Steigen war, drehte ich wieder scharf ein, um ja in dem kleinen Gebiet des Steigens zu bleiben. Ich wollte mir und den anderen zeigen, daß ich nicht absaufe. Großer Fehler Nummer 6
Am Tag zuvor „hungerte“ ich den Schirm durch starkes Anbremsen ca. 2 m über Grund aus, um auf einem Ziel zu landen. Der Steuerdruck war hoch, aber es kam zu keinem Strömungsabriß.
Den gleichen hohen Steuerdruck fühlte ich jetzt auch. Offensichtlich flog ich kurz vor einem Strömungsabriß. Fehler Nummer 7.
Nun kam durch eine kleine Turbulenz ein winziger Klapper auf der hangfernen Luvseite. Vermutung: Durch den Klapper wurde diese Seite noch geringfügig weiter abgebremst. Diese zusätzliche Verlangsamung reichte offensichtlich zum Strömungsabriß aus. Fehler Nummer 8 . Ende der Vermutung.
Nun setzte bald - 1 bis 2 sec. - eine heftige Schräglage zu der Klapperseite ein, die ich versuchte durch ebenso heftiges Gegensteuern zu unterbinden. Dann das Gleiche zur anderen Seite. Diese Pendelbewegung nach rechts, links und wieder nach rechts dauerte ca. knapp 2 sec. Das wars. Durch dreimaliges viel zu starkes Anbremsen ( Fehler Nummer 9 ) habe ich den ohnehin viel zu langsam geflogenen Schirm zum Negativdrehen gebracht.
Ich stürzte aus ca. 30 m Höhe ab. Ich hatte es überhaupt nicht in meinen Kopf einprogrammiert, die Arme hoch zu nehmen und die Tüte fliegen zu lassen. Schwerer Fehler Nummer 10.
Ich habe überhaupt nicht daran gedacht die Rettung zu werfen. Das hätte ohnehin aus der geringen Höhe nichts geholfen. Aber dennoch ein Fehler. Mein einziger Gedanke war auf den Aufschlag fokussiert. Totaler Quatsch. Den kann ich ohnehin nicht beeinflussen.
Ich schlug auf einen harten lehmhaltigen Boden, indem faustgroße Steine lagen auf. Drei Meter neben mir lagen stuhlgroße Felsen. Der Hang hatte an dieser Stelle eine Neigung von ca. 35 Grad. Ich berührte kurz mit einem Bein den Boden. Dann landete ich genau auf dem Protektor. Durch die Rücklage meines Oberkörpers fiel mein Oberkörper durch die Wucht des Aufpralls nach hinten. Durch die Rotation der Negativdrehung wurde mein Oberkörper zur Seite gedreht. Meine Schulter und mein Kopf schlugen heftig außerhalb des Protektors auf den Boden.
Wie durch ein Wunder habe ich mir bei diesem Sturz aus ca. 30 m Höhe eine kleine oberflächliche Schürfwunde am Schulerblatt und einen kleinen blauen Fleck an der gleichen Stelle zugezogen. Mein Helm hat ein paar Kratzer.
Da ich auch an den Tagen zuvor ebenfalls Flugfehler gemacht habe und nach diesem intensiven Erlebnis - ich hätte tot sein können oder mit schweren Frakturen der Wirbelsäule oder der Extremitäten oder des Beckens rechnen müssen - habe ich die Reise abgebrochen, um mir über meine Ziele beim Gleitschirmfliegen klar zu werden.
Fazit: Ich werde, wenn ich diesen Flugsport weiter betreibe, sehr viel konzentrierter sein. Ich werde mich mental auf Situationen besser vorbereiten, damit ich reflexartig richtig reagieren kann. Ich werde meinen Ehrgeiz bremsen. Lieber einmal mehr absaufen und locker im Tal landen als durch falschen Ehrgeiz tot in der Wand zu hängen.
Ich hoffe ich konnte durch diesen Bericht einen winzigen Beitrag leisten, Unfälle zu reduzieren. Wenn nur ein Pilot sich durch diesen Bericht weniger verletzt, hat sich die Mühe für das Schreiben des Beitrags gelohnt.
Allzeit unfallfreies Fliegen wünsche ich Euch.
Piet